Искать по:

Date (DE) format error: Trailing data
Elena Gubenko

Zum 66. Tag des Kriegsendes

Jüdisches Leben in Gelsenkirchen


Am 8. Mai 2011 fand auf dem Neumarkt in der Gelsenkirchener City die Mahnwache zur Erinnerung an die Befreiung von Krieg und Faschismus statt, organisiert vom Gelsenzentrum e.V. und unterstützt unter anderen vom Jüdischen Kulturverein KINOR e. V., Gelsenkirchen, und vom Forum für die Zukunft des Judentums in Deutschland e. V.

Mahnwache in Gelsenkirchen

Der 8. Mai 1945 markiert die militärische Zerschlagung des Nationalsozialismus und das Ende des von Deutschland entfachten Weltkrieges, der über 55 Millionen Menschenleben kostete. Dieser 8. Mai steht auch symbolisch für die Befreiung der Überlebenden der Konzentrationslager, die dem deutschen Rassen- und Vernichtungswahn entkommen konnten. Dieser Tag soll jedoch nicht allein Anlass zum Gedenken an die unzähligen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sein.
(Aus der Ankündigung vom Gelsenzentrum, http://gelsenblog.de/archives/809 )

Nach dem Redebeitrag vom Hauptveranstalter Andreas Jordan, Gelsenzentrum, habe ich, als Vertreterin jüdischer Organisationen, das Wort bekommen. Hier ein Abschnitt meiner Rede. Außer der hier genannten Themen habe ich im zweiten Teil meines Statements schwierige Probleme des heutigen Lebens erwähnt, die die Folgen des Krieges und unmittelbar mit dem Krieg verbunden sind wie auch mit der deutschen Politik. Diese Problematik möchte ich in der nächsten Zeit deutlich formulieren und umfassend beschreiben.
***

Zum 66. Tag des Kriegsendes

Teil 1


Während in den meisten Ländern und in Deutschland der 8. Mai 1945 als Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands gilt, wird von den Russischsprachigen auf der ganzen Welt am 9. Mai der wichtigste Gedenktag, der Tag des Sieges gefeiert - Tag des Sieges des Hitler-Faschismus und des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945.

Hier anwesend sind einige jüdische Migranten aus den GUS-Ländern, die heute in Gelsenkirchen leben, unter anderen ein noch lebender jüdischer Kriegsveteran, der letzte „Mohikaner“, Lew Belogolowski, mit seinem Sohn, sowie unsere Kollegen aus Essen und Bochum. Einer davon ist der Vorsitzende des Vereines "Forum für die Zukunft des Judentums in Deutschland e.V." und der Chef-Redakteur des Portals „Freie-juedische-Meinung.de“ Grygoriy Rubinshteyn. Ich gehöre auch zu diesen Gremien wie auch leite den Jüdischen Kulturverein KINOR in Gelsenkirchen.

Aus der Sicht frei denkender jüdischer Bürger und unabhängiger und selbstbewusster jüdischer Organisationen in Deutschland möchte ich den Redebeitrag von Andreas Jordan ergänzen. Meine Behauptungen teilen mit mir die hier anwesenden und viele andere deutsche Juden. Das heutige gemeinsame Veranstaltung sehe ich als ein Anlass für die beiden Gruppen – einheimische Deutschen und russisch-jüdischen Einwanderer - miteinander auf der Augenhöhe zu kommunizieren, näher zueinander zu kommen.

Andreas Jordan hat gerade einige Bevölkerungsgruppen genannt, die vom verbrecherischen faschistischen Regime verfolgt und massenweise ermordet wurden - Juden, Slawen, Sinti und Roma. Nun möchte ich diese Liste ergänzen: Dazu gehören auch Kommunisten und Sozial-Demokraten, Homosexuelle und Behinderte. Wir finden es wichtig, dass beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nicht nur vorzüglich 6 Millionen ermordeter Juden erwähnt werden, was in Deutschland üblich passiert, sondern gleichberechtigt alle diese Bevölkerungsgruppen.
Was aber speziell die Juden betrifft bzw. die russischen Migranten, unserer Meinung nach, braucht die Wahrnehmung der deutsch-jüdischen Geschichte im 21. Jahrhundert entsprechend neuer Realien eine Flexibilität, eine neue Sicht, neue Visionen, neue Einstellungen. Es sollen weitere Facetten der Geschichte gesehen werden.
Heute leben in der BRD und unter anderem in Gelsenkirchen viele Juden aus der ehemaligen UdSSR, diese sind sogar die absolute Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Deutschlands. Die Tatsache, dass wir heute hier leben, das ist eine der Folgen des Krieges und des Holocaust – die Juden aus den GUS-Ländern wurden nach Deutschland eingeladen, um das fast ganz vollständig vernichtete deutsche Judentum wieder lebendig zu machen. Und darüber haben unsere deutschen Mitbürger kaum Informationen, darüber wird ganz selten gesprochen. Wir, "russische" Juden, haben unsere Geschichte nach Deutschland mitgebracht. Eine Seite dieser Geschichte – der Krieg und der Holocaust - gehört aber zum tragischen Teil unserer gemeinsamen deutsch-russischen und deutsch-jüdischen Geschichte.
Mit geschätzten 25 Millionen Opfern hat die damalige Sowjetunion im so genannten "Großen Vaterländischen Krieg" von 1941-1945 so blutige Verluste erlitten wie kein anderes Land. Und das betrifft unmittelbar uns, russischen Migranten in Deutschland, da fast jede unsere Familie während des Krieges Angehören verloren hat. Auch meine Familie.

Da wir Juden sind, tragen durch Holocaust unsere Familien noch viel größere Verluste als übrige sowjetische Bürger. Hier in Deutschland ist der KZ Auschwitz ein Symbol des Holocaust geworden. Wir finden es aber wichtig, dass hier auch über das Ausmaß und über die Orte der jüdischen Tragödie in Osteuropa und auf dem Territorium der Sowjetunion gesprochen wird. Lasst uns nennen und nicht vergessen die Zahl der vernichteten sowjetischen Juden - mindestens 2 800 000! Und dazu 250.000 Juden, die vom Ausland in die UdSSR gebracht und hier vernichten wurden. Hier im Land und in dieser Stadt leben einige dieser Opfer des Holocaust und deren Nachgeborenen!
Aber Juden nur als Opfer zu sehen und zu zeigen, ist ein schädliches Klischee! Man soll heute laut sagen: Juden, besonderes "russische" Juden, waren Kämpfer gegen die Nazis und sogar (zusammen mit anderen) Befreier Europas vom Faschismus! Gerade ein Jude, Kapitän Schapiro, war derjenige, der als erster am 27. Januar 1945 im Bestande der Sowjetischen Armee die Tore von Auschwitz öffnete. Rund 500.000 Juden in der fünf Millionen Menschen umfassenden Roten Armee haben gegen die Nazis gekämpft. Diese Menschen haben zum Sieg über den Faschismus, der Befreiung vom Nationalsozialismus unter Einsatz ihres Lebens beigetragen. Auch mein Vater war ein Kriegsoldat und durch seine Verwundungen zu früh gestorben. Mein Schwiegervater hat die beiden Füßen im Verlauf der Kämpfe verloren.
Außerdem haben die Juden auch bei den Partisanen gekämpft. Bei den sowjetischen Partisanen gab es nicht nur zahlreiche Juden, sondern sogar spezielle jüdische Partisanenbrigaden, die vor allem wegen ihres ungeheuren Mutes und Geschicks bekannt waren. Es gab auch andere Formen der jüdischen Widerstandsbewegung, z. B. Widerstand in Ghettos. Einige dieser Menschen, die "letzten Mohikaner", und ihre Nachkommen leben heute in Deutschland und in Gelsenkirchen, vielleicht auf ihrer Straße, vielleicht sogar in ihrem Haus. Lasst Euch diese Menschen kennenlernen, reicht ihnen Eure Hand!
Schließen diesen Teil meines Statements möchte ich mit folgenden Zitaten: "Wenn wir vergessen, sind wir schuldig, sind wir Komplizen" von Elie Wiesel und "Menschen! Seid wachsam!" - das sagte einst Julius Fucík.

Fortsetzung folgt